© tg | 2010 | sv1
Das Internet hat uns vom reinen Rezipienten zum allzeit bereiten Medienunternehmer katapultiert. Wir veröffentlichen Texte, Fotos und Videos am laufenden Band und auf allen Kanälen: jederzeit, von überall und von jedem publizierbar und rezipierbar. Blogs, Social Networks, Video- und Foto-Portale, Podcasts, Foren: Unsere Möglichkeiten uns mitzuteilen und Leser, Seher und Hörer zu finden sind nun endlich unbegrenzt. Einerseits.
Nun schwimmen wir Bewohner der digitalisierten Industriestaaten jedoch im Informationsüberfluss: Jegliches Gedankengut ist sofort, hier und jetzt abrufbar. Es gilt jedoch, die wirklich für uns nährstoffreichen Fische im trüben wie vollen Teich zu finden. Wir können nicht einfach unser engmaschiges Netz auswerfen – beim Einholen würde dieses aufgrund der Menge an Fischen reißen. Unser Netz ist einfach nicht dafür erschaffen ganze Fischschwärme einzuholen. Angeln mit der Rute und dem entsprechenden Köder, um genau das zu holen, was wir wirklich brauchen – das heißt „be-nützen".
Zahlreiche nordamerikanischen Unternehmen ersetzen bereits den Casual Friday durch den E-Mail-Free Friday. Unter dem Beantworten der täglich hunderten E-Mails leidet die Produktivität der Mitarbeiter derart, dass die Unternehmensgewinne zu schrumpfen drohen. „Time to get personal again", schreiben die Seminaranbieter sogleich in ihren E-Mail-Newslettern.
In einer – von HP beauftragten – Studie zum Vergleich der Konzentration wurden Studenten der University of London in drei Gruppen geteilt: Eine durfte ungestört an einer Aufgabe arbeiten, die zweite wurde alle paar Minuten durch E-Mail und SMS in ihrer Aufmerksamkeit gestört und die dritte Gruppe ließ man Marihuana rauchen. Nicht verwunderlich, erreichte die erste Gruppe die höchste Punkteanzahl. Die durch Rauschgift benebelten Teilnehmer waren aber wesentlich konzentrierter und schnitten deutlich besser ab, als diejenigen, die ständiger Störung ausgesetzt waren. Daraus folgt: „Mind the crap".
In der Arbeitswelt setzt sich die Erkenntnis durch, dass ständige Erreichbarkeit den massiven Verlust an Konzentration beinhaltet. Immer mehr Mitarbeiter dürfen ungestört im Home-Office arbeiten – ab und zu lässt man sogar das Notebook im Büro. So weit – so gut punkto Arbeit.
Es wird uns jedoch laufend an jeder Ecke des Netzes vermittelt, dass wir erst durch das Internet die Möglichkeit haben, mit unseren Freunden wirklich ständigen Kontakt zu halten. An jeder Ecke paaren sich Jahrmarktschreier der Eitelkeiten mit der Versuchung: Lade Freunde ein, kontaktiere sie, schick ihnen Fotos, einen Link, einen Feed, einen Event, einen Tweet zumindest, stupse sie an, stoße sie an, belästige sie.
Nur auf den ersten Blick scheint es paradox, dass bei all diesen unendlichen Möglichkeiten der Kontaktaufnahme die Menschen zusehends vereinsamen. Denn Quantität steht bei Kommunikation in keiner Korrelation zur Qualität. Vereinsamung führt, zwar immer öfter, obwohl nicht immer zwangsläufig zu einem Amoklauf mit der Pumpgun, sie beraubt mich meist der Möglichkeit, direkte – und tiefergehende, als ein LOL ;-) – Erwiderungen meiner Mitmenschen auf mein Verhalten und meine Gedanken zu erleben. Der einzige Grund, menschliches Verhalten zu ändern, liegt in der Reflexion. In Worten und Taten reiben sich Aktion und Reaktion und so kann Katharsis als ein gemeinsames Kind dieses Aufeinandertreffens entspringen.
Es könnte also die Zeit gekommen sein, Facebook gegen Face to Face zu tauschen. Bei einer Tasse Tee zu zweit im Kaffeehaus, im Wald spazierend oder bei einem Glas Wein zu Hause vor dem Kamin.
Wenn wir unsere geballte Kommunikation an die Masse gegen das gute alte persönliche Treffen tauschen, ist das nicht immer bequem. Manchmal mühsamer, immer zeitaufwändiger und nicht messbar in einer Kontaktzahl, daher auch nicht wettbewerbsfähig – aber unübertroffen an Tiefe.
Das Leben ist kein großes Wellness-Hotel und auch kein Entertainment-Park. Den hedonistischen Erlebniseffekt muss ich bei so manchem Diskurs an den Nagel der Eingangstür hängen, dafür kann aber eine vorher nicht erahnte, oft nicht einmal erhoffte, Erweiterung meiner Gedanken daraus erwachsen. Die Reibung am Neuen, selbst und vor allem, wenn es um in Worte gefasste, mir noch unbekannte Gedanken geht, ist Grund meines Wachstums als Mensch.
Vor allem die der Situation angepasste Sprache trägt zur Tiefe bei, gibt es doch einen wesentlichen Unterschied, ob ich meine Gedanken in kleinen verzehrbaren Häppchen in die Welt hinausstelle oder in ganzen zusammenhängenden Sätzen. Wähle ich Sprachbrocken, die jedem verständlich sind, einige ich mich auf diesen kleinsten gemeinsamen Nenner, oder münze ich meine Worte auf den einzigen und alleinigen Adressaten meiner Gedanken. Direkte Kommunikation mit einem Menschen, sowohl in Inhalt als auch in Form. Mit und in Sprache formuliert, die sich nur an den beiden Teilnehmern orientieren und beschränken muss, deren kleinstes gemeinsames Teilbares nicht durch hunderte User herabgewürgt wird, sondern sogar manchmal über die eigene Grenze hinausgehen kann, weil Zeit, Raum und Geduld zur Erklärung vorhanden sind.
Richtige Tiefe wird nur möglich bei einer ganz und gar intimen Kommunikation. Wenn also einer zuhört, während der andere spricht. Wenn mir die Gedanken des anderen – selbst bei nicht sofortigem Verständnis des Gesagten – durch Frage und zeitnahe Antwort verständlich gemacht werden können. Wenn ich Sprache mit unmittelbarer Reaktion in Ton, Gestik und Mimik kombiniere, sie laufend im Kommunikationsprozess – ohne allein von der Technik erzwungene Pausen – anpasse und mich mit dem Gesagten meines Gegenübers nicht nur auseinandersetzen kann, sondern sogar muss.
Sollen wir also sofort jegliche E-Mails, IM-Chats und Twitter-Feeds abdrehen? Nein, nicht in gänzlichem Verzicht sollten wir uns üben, sondern in bewusstem „Be-nützen“: Zeit also, jetzt Facebook aufzurufen, einen Freund anzuklicken ... und ihn zu treffen.
Freitag, 30. April 2010
Donnerstag, 1. April 2010
40
40 also. Noch mal, um es sich auf der Zunge zergehen zu lassen: Viiierzig. Vier – das geht ja noch. Aber gleich dazu die -zig?
Was für ein seltsamer Geschmack. Die Zunge wehrt sich vehement dagegen.
Und ein paar Gedanken drängen sich auf:
40 bedeutet, dass man schon auf etwas zurückblicken kann.
Ob das gut oder schlecht ist, ist dann doch eine andere Frage.
40 bedeutet, dass man sich in der Straßenbahn ohne schlechtes Gewissen hinsetzen kann.
Dass man sogar schon so manches Mal einen Sitz angeboten bekommt.
Es bedeutet, dass man sich nicht mehr grundlegend ändern wird.
Und dass dies für manche Mitmenschen gar nicht gut ist.
Aber 40 heißt auch, dass man sich nicht mehr schämt.
40 bedeutet den sicht- und spürbaren Verfall des Körpers.
Knieschmerzen nach ein paar Kilometer Gehen.
40 bedeutet, dass man der Straßenbahn nicht mehr hinterherläuft, sondern auf die nächste wartet.
Dass du nach 20 Liegestützen schwer atmest. Und wenn du mal zu Fuß in den 3. Stock musst, bist du froh, überhaupt noch zu atmen.
Das heißt, dass man wohl kein Spitzensportler mehr wird. Kein Astronaut mehr. Kein Akrobat. Nicht mehr Präsident. Kein Erfinder, kein Wissenschafter. Und auch kein Arzt. Obwohl das in Anbetracht des Verfalls manchmal hilfreich wäre. Man könnte sich zumindest selbst Fett absaugen.
40: Der Mangel an jugendlichem Ehrgeiz. Dass man sich nichts mehr beweisen muss. Dass man schon öfters auf dem Podium und in der Zeitung gestanden hat und weiß, dass dies rein gar nichts bedeutet. Nicht mal für den 15-Minuten-Ruhm. Vielleicht noch für den naiven Stolz der Kinder.
40: Der Wunsch, noch mal etwas Großes zu bewegen. Die erfüllende Müdigkeit, die dich das Vorhaben sogleich wieder vergessen lässt.
Dass du weißt, wie wichtig es ist, 2 Liter Wasser am Tag zu trinken. Und dass der Preis dafür ständiger Harndrang ist. Also inkontinentes Wasserlassen alle 15 Minuten.
Und dass du froh bist, dabei nach all den Jahren noch ins Pissoir zu treffen. Meistens zumindest.
40: Das Aufwachsen der Kinder. Überhaupt die Erkenntnis, dass man Kinder hat. Zwei sogar.
Dass man auch eine Frau hat. Eine nur. Manchmal leider. Manchmal ist selbst das zu viel.
40: Das tägliche Aufstehen um 6.30 Uhr. Schon seit Jahren, noch für Jahre. Obwohl du das frühe Aufstehen hasst. Schon immer gehasst hast. Und auch immer hassen wirst. Vor allem, weil du noch immer ein unverbesserlicher Nachtmensch bist. Weil du dich immer noch zwingen musst, vor Mitternacht ins Bett zu gehen – und das selten schaffst, weil die Dunkelheit so verlockend ist.
Dass man weiß, dass jede Entscheidung für etwas auch die Entscheidung gegen etwas anderes impliziert.
Siehe dazu den Gedanken an Frau und Kinder.
Der verstärkte Wunsch nach Einsamkeit. Und Ruhe. Siehe auch dazu Frau und Kinder. Und überhaupt all die Frauen in der Familie. Von wegen Schweigen und Gold.
Dass Verlässlichkeit auch und vor allem in der Freundschaft zählt.
Dass man unbefriedigende Freundschaften beenden muss.
Dass man keine Großeltern mehr hat. Und sie niemals vergessen wird.
40: Wissen, was man weiß. Wissen, dass man niemals alles weiß. Der Wunsch, dieses Wissen weiterzugeben.
Und nach all den Jahren trotzdem jeden Tag: die Neugier auf alles Neue.
Die Sehnsucht nach Natur. Der Wunsch, ein Baum zu sein. Am liebsten eine zypriotische Tanne. Die leben über 200 Jahre. Noch dazu in der Sonne.
Dass man immer öfter etwas vergisst. Trotz täglicher Einnahme dieser Tabletten ... deren Name mir jetzt leider entfallen ist.
Dass es niemals nur eine Wirklichkeit gibt. Und schon gar nicht die eine einzige Wahrheit.
Dass man keine Zeit mehr mit Menschen verbringt, die einen langweilen.
Dass man nicht mehr jeder Versuchung erliegt. Nur mehr jeder zweiten.
40 bedeutet auch, dass ein Abendessen mit Freunden mehr wert ist als ein Clubbing, bei dem man sich anschreit.
Dass 40 doch nur eine Zahl ist. Aber eine verdammt hohe.
Dass man beginnt, sich die Seniorenhandys im Niedermeyer-Katalog anzusehen.
Dass es keine Ausreden mehr vor sich selbst gibt.
Dass es kein dann mehr gibt.
Nur mehr jetzt. Oder eben nicht mehr.
Dass außer der Liebe nicht viel Sinn macht. Aber die sehr wohl. Möglichst oft. Und lange.
Na ja, so lange es mit 40 halt geht.
Dass man mehr Sport machen sollte. Vorzugsweise regelmäßig. Und zu zweit. Und lange.
Dass man vermehrt graue Haare findet. Und die nicht nur im Spiegel. Selbst auf der Brust.
Dass aber nicht jeder immer alles wissen muss.
Dass man im Urlaub gern auf ein paar Sterne am Hotel verzichtet. Wenn es dafür welche am Himmel gibt.
Dass man von fremden Kindern nur noch gesiezt wird. Und nicht nur von fremden.
Dass es keine Sünde gibt. Nur verpasste Gelegenheiten.
Dass man Menschen mit Gehstock nicht mehr verachtend belächelt, sondern sie beneidet. Die können sich wenigstens auf etwas stützen.
Dass es so wenig bedarf, um glücklich zu sein. Und gleichzeitig auch so viel.
Dass die Jugend ein verzeihlicher Fehler ist.
Dass eine Idee nichts wert ist, wenn man sie nicht sofort umsetzt.
Dass man eine Brille hat. Mindestens eine.
Dass das Gewicht einer Frau nicht zählt.
Schon gar nicht, wenn man seine Brille vergessen hat.
Die Erkenntnis, dass das eigene Glas jetzt dann nur mehr halb voll ist.
Dass man mindestens die Hälfte also schon sicher hinter sich hat. Also höchstens ein halbes Glas Wasser vor sich.
Dass früher oder später die Leidenschaft eine Sache erfolgreich macht. Und dass ohne Leidenschaft kein Erfolg schmeckt.
Dass es guttut, manchmal nein zu sagen, statt sich alle Optionen bis zuletzt offenzuhalten.
Dass man manches Mal loslassen muss.
Dass man jeden Tag zu schätzen weiß. Und das nicht nur so dahersagt. Sondern es durch und durch so empfindet.
Dass Worte wie wollte, hätte, sollte nicht mehr zählen.
Dass es noch immer schön ist, die Norm zu durchbrechen.
Dass man nach einem Schluck frisch gepresstem Orangensaft schon Sodbrennen hat. Reflux lässt grüßen.
Dass man das Alter von Frauen so was von überhaupt nicht mehr abschätzen kann. 20 oder 30? Eigentlich egal, auf jeden Fall wesentlich jünger als man selbst.
Dass ein Lächeln den Tag retten kann.
Dass Geld wirklich nicht alles ist. Aber so ziemlich alles kaufen kann.
Und dass man dieses alles nicht mehr braucht.
Dass man sein Feuer nur weitergeben kann, wenn man selbst brennt.
Dass man immer auf seinen Bauch hören muss. Immer.
Dass man Mädels im Kaffeehaus anstarrt – und sich fragt, ob das rechtlich noch o. k. ist.
Dass Lernen ein Privileg ist, das wir nicht genug schätzen können.
Dass das meiste, was gut für die Seele ist, schlecht für den Körper ist.
Dass man Frauen liebt. Alle.
Dass man nicht mehr von jeder Süßigkeit kosten muss. Manchmal ist man schon vom Ansehen satt.
Oder bekommt wieder Appetit auf sein Leibgericht.
Dass eine Aktentasche oder Schultasche verdammt schwer sein kann.
Dass man auf keine Partys geht, bei denen im Schlafsack übernachtet wird.
Dass man auf keine Partys mehr geht, zu denen man nicht eingeladen ist.
Dass man auf keine Partys geht, bei denen es nur ums Geschäft geht.
Dass man auf keine Partys mehr geht, bei denen keine Freunde sind.
Dass man also eigentlich auf überhaupt keine Partys mehr geht.
Dass die Familie nicht veränderbar oder austauschbar ist.
Dass man beim Schwimmen untergeht, wenn man Toter Mann spielt. Von wegen Auftrieb.
Dass selektives Hören eine Gabe ist, die man mit jedem Tag Ehe perfektioniert.
Dass es selten Wunder im Leben gibt. Dafür viele gut gemachte Shows.
Dass man sich selbst kennt. Und dass das so manches Mal ein Vorteil ist.
Dass man sich noch immer jedes Mal umdreht, wenn man Stöckelschuhe auf Asphalt hört.
Dass man gar nicht anders kann, weil dies der freiwillig antrainierte pawlowsche Reflex ist.
Dass man sich nicht mehr an die Namen all seiner Verwandten erinnert. Und schon gar nicht an die der Exfreundinnen.
Was manchmal sogar besser ist.
Dass drei Minuten am Klo für rein gar nichts reichen.
Dass Alkohol eine Hure ist. Davor und währenddessen begehrt man es. Danach möchte man kotzen, nichts wie weg und alles Geschehene vergessen.
Dass man Krankenhäuser auch schon von innen kennt.
Dass Essen noch immer den gleichen Stellenwert einnimmt, wie vor 20 Jahren. Nur dass es sich hartnäckiger in der Gürtelgegend ansetzt.
Dass Politik immer schmutzig ist. Manchmal noch viel schmutziger. Und dass es – trotz Beteuerungen – keine Ausnahmen gibt.
Dass man wohl nicht mehr im Lotto gewinnen wird. Vor allem, wenn man keinen Schein ausfüllt.
Dass käufliche Liebe keine Liebe ist. Nur Sex. Aber dazu muss man den Schein ausfüllen.
Dass ein Sonnenaufgang aber auch schön ist.
Dass man vergessen hat, worum es in dem Buch ging, das man letzte Woche gelesen hat.
Dass man sich seinen Freiraum schaffen muss, um atmen zu können.
Dass man manchmal nein sagen muss, um ja sagen zu können.
Dass man sich noch immer Gedanken über die Welt und das Leben macht.
Dass der Tod nicht bestechlich ist.
Dass ein regelmäßiger Stuhlgang die Basis allen irdischen Glücks ist.
Dass man Freunde hat. Viele. Gute. Und dass man gern einen Abend mit ihnen verbringen will.
Heute.
Was für ein seltsamer Geschmack. Die Zunge wehrt sich vehement dagegen.
Und ein paar Gedanken drängen sich auf:
40 bedeutet, dass man schon auf etwas zurückblicken kann.
Ob das gut oder schlecht ist, ist dann doch eine andere Frage.
40 bedeutet, dass man sich in der Straßenbahn ohne schlechtes Gewissen hinsetzen kann.
Dass man sogar schon so manches Mal einen Sitz angeboten bekommt.
Es bedeutet, dass man sich nicht mehr grundlegend ändern wird.
Und dass dies für manche Mitmenschen gar nicht gut ist.
Aber 40 heißt auch, dass man sich nicht mehr schämt.
40 bedeutet den sicht- und spürbaren Verfall des Körpers.
Knieschmerzen nach ein paar Kilometer Gehen.
40 bedeutet, dass man der Straßenbahn nicht mehr hinterherläuft, sondern auf die nächste wartet.
Dass du nach 20 Liegestützen schwer atmest. Und wenn du mal zu Fuß in den 3. Stock musst, bist du froh, überhaupt noch zu atmen.
Das heißt, dass man wohl kein Spitzensportler mehr wird. Kein Astronaut mehr. Kein Akrobat. Nicht mehr Präsident. Kein Erfinder, kein Wissenschafter. Und auch kein Arzt. Obwohl das in Anbetracht des Verfalls manchmal hilfreich wäre. Man könnte sich zumindest selbst Fett absaugen.
40: Der Mangel an jugendlichem Ehrgeiz. Dass man sich nichts mehr beweisen muss. Dass man schon öfters auf dem Podium und in der Zeitung gestanden hat und weiß, dass dies rein gar nichts bedeutet. Nicht mal für den 15-Minuten-Ruhm. Vielleicht noch für den naiven Stolz der Kinder.
40: Der Wunsch, noch mal etwas Großes zu bewegen. Die erfüllende Müdigkeit, die dich das Vorhaben sogleich wieder vergessen lässt.
Dass du weißt, wie wichtig es ist, 2 Liter Wasser am Tag zu trinken. Und dass der Preis dafür ständiger Harndrang ist. Also inkontinentes Wasserlassen alle 15 Minuten.
Und dass du froh bist, dabei nach all den Jahren noch ins Pissoir zu treffen. Meistens zumindest.
40: Das Aufwachsen der Kinder. Überhaupt die Erkenntnis, dass man Kinder hat. Zwei sogar.
Dass man auch eine Frau hat. Eine nur. Manchmal leider. Manchmal ist selbst das zu viel.
40: Das tägliche Aufstehen um 6.30 Uhr. Schon seit Jahren, noch für Jahre. Obwohl du das frühe Aufstehen hasst. Schon immer gehasst hast. Und auch immer hassen wirst. Vor allem, weil du noch immer ein unverbesserlicher Nachtmensch bist. Weil du dich immer noch zwingen musst, vor Mitternacht ins Bett zu gehen – und das selten schaffst, weil die Dunkelheit so verlockend ist.
Dass man weiß, dass jede Entscheidung für etwas auch die Entscheidung gegen etwas anderes impliziert.
Siehe dazu den Gedanken an Frau und Kinder.
Der verstärkte Wunsch nach Einsamkeit. Und Ruhe. Siehe auch dazu Frau und Kinder. Und überhaupt all die Frauen in der Familie. Von wegen Schweigen und Gold.
Dass Verlässlichkeit auch und vor allem in der Freundschaft zählt.
Dass man unbefriedigende Freundschaften beenden muss.
Dass man keine Großeltern mehr hat. Und sie niemals vergessen wird.
40: Wissen, was man weiß. Wissen, dass man niemals alles weiß. Der Wunsch, dieses Wissen weiterzugeben.
Und nach all den Jahren trotzdem jeden Tag: die Neugier auf alles Neue.
Die Sehnsucht nach Natur. Der Wunsch, ein Baum zu sein. Am liebsten eine zypriotische Tanne. Die leben über 200 Jahre. Noch dazu in der Sonne.
Dass man immer öfter etwas vergisst. Trotz täglicher Einnahme dieser Tabletten ... deren Name mir jetzt leider entfallen ist.
Dass es niemals nur eine Wirklichkeit gibt. Und schon gar nicht die eine einzige Wahrheit.
Dass man keine Zeit mehr mit Menschen verbringt, die einen langweilen.
Dass man nicht mehr jeder Versuchung erliegt. Nur mehr jeder zweiten.
40 bedeutet auch, dass ein Abendessen mit Freunden mehr wert ist als ein Clubbing, bei dem man sich anschreit.
Dass 40 doch nur eine Zahl ist. Aber eine verdammt hohe.
Dass man beginnt, sich die Seniorenhandys im Niedermeyer-Katalog anzusehen.
Dass es keine Ausreden mehr vor sich selbst gibt.
Dass es kein dann mehr gibt.
Nur mehr jetzt. Oder eben nicht mehr.
Dass außer der Liebe nicht viel Sinn macht. Aber die sehr wohl. Möglichst oft. Und lange.
Na ja, so lange es mit 40 halt geht.
Dass man mehr Sport machen sollte. Vorzugsweise regelmäßig. Und zu zweit. Und lange.
Dass man vermehrt graue Haare findet. Und die nicht nur im Spiegel. Selbst auf der Brust.
Dass aber nicht jeder immer alles wissen muss.
Dass man im Urlaub gern auf ein paar Sterne am Hotel verzichtet. Wenn es dafür welche am Himmel gibt.
Dass man von fremden Kindern nur noch gesiezt wird. Und nicht nur von fremden.
Dass es keine Sünde gibt. Nur verpasste Gelegenheiten.
Dass man Menschen mit Gehstock nicht mehr verachtend belächelt, sondern sie beneidet. Die können sich wenigstens auf etwas stützen.
Dass es so wenig bedarf, um glücklich zu sein. Und gleichzeitig auch so viel.
Dass die Jugend ein verzeihlicher Fehler ist.
Dass eine Idee nichts wert ist, wenn man sie nicht sofort umsetzt.
Dass man eine Brille hat. Mindestens eine.
Dass das Gewicht einer Frau nicht zählt.
Schon gar nicht, wenn man seine Brille vergessen hat.
Die Erkenntnis, dass das eigene Glas jetzt dann nur mehr halb voll ist.
Dass man mindestens die Hälfte also schon sicher hinter sich hat. Also höchstens ein halbes Glas Wasser vor sich.
Dass früher oder später die Leidenschaft eine Sache erfolgreich macht. Und dass ohne Leidenschaft kein Erfolg schmeckt.
Dass es guttut, manchmal nein zu sagen, statt sich alle Optionen bis zuletzt offenzuhalten.
Dass man manches Mal loslassen muss.
Dass man jeden Tag zu schätzen weiß. Und das nicht nur so dahersagt. Sondern es durch und durch so empfindet.
Dass Worte wie wollte, hätte, sollte nicht mehr zählen.
Dass es noch immer schön ist, die Norm zu durchbrechen.
Dass man nach einem Schluck frisch gepresstem Orangensaft schon Sodbrennen hat. Reflux lässt grüßen.
Dass man das Alter von Frauen so was von überhaupt nicht mehr abschätzen kann. 20 oder 30? Eigentlich egal, auf jeden Fall wesentlich jünger als man selbst.
Dass ein Lächeln den Tag retten kann.
Dass Geld wirklich nicht alles ist. Aber so ziemlich alles kaufen kann.
Und dass man dieses alles nicht mehr braucht.
Dass man sein Feuer nur weitergeben kann, wenn man selbst brennt.
Dass man immer auf seinen Bauch hören muss. Immer.
Dass man Mädels im Kaffeehaus anstarrt – und sich fragt, ob das rechtlich noch o. k. ist.
Dass Lernen ein Privileg ist, das wir nicht genug schätzen können.
Dass das meiste, was gut für die Seele ist, schlecht für den Körper ist.
Dass man Frauen liebt. Alle.
Dass man nicht mehr von jeder Süßigkeit kosten muss. Manchmal ist man schon vom Ansehen satt.
Oder bekommt wieder Appetit auf sein Leibgericht.
Dass eine Aktentasche oder Schultasche verdammt schwer sein kann.
Dass man auf keine Partys geht, bei denen im Schlafsack übernachtet wird.
Dass man auf keine Partys mehr geht, zu denen man nicht eingeladen ist.
Dass man auf keine Partys geht, bei denen es nur ums Geschäft geht.
Dass man auf keine Partys mehr geht, bei denen keine Freunde sind.
Dass man also eigentlich auf überhaupt keine Partys mehr geht.
Dass die Familie nicht veränderbar oder austauschbar ist.
Dass man beim Schwimmen untergeht, wenn man Toter Mann spielt. Von wegen Auftrieb.
Dass selektives Hören eine Gabe ist, die man mit jedem Tag Ehe perfektioniert.
Dass es selten Wunder im Leben gibt. Dafür viele gut gemachte Shows.
Dass man sich selbst kennt. Und dass das so manches Mal ein Vorteil ist.
Dass man sich noch immer jedes Mal umdreht, wenn man Stöckelschuhe auf Asphalt hört.
Dass man gar nicht anders kann, weil dies der freiwillig antrainierte pawlowsche Reflex ist.
Dass man sich nicht mehr an die Namen all seiner Verwandten erinnert. Und schon gar nicht an die der Exfreundinnen.
Was manchmal sogar besser ist.
Dass drei Minuten am Klo für rein gar nichts reichen.
Dass Alkohol eine Hure ist. Davor und währenddessen begehrt man es. Danach möchte man kotzen, nichts wie weg und alles Geschehene vergessen.
Dass man Krankenhäuser auch schon von innen kennt.
Dass Essen noch immer den gleichen Stellenwert einnimmt, wie vor 20 Jahren. Nur dass es sich hartnäckiger in der Gürtelgegend ansetzt.
Dass Politik immer schmutzig ist. Manchmal noch viel schmutziger. Und dass es – trotz Beteuerungen – keine Ausnahmen gibt.
Dass man wohl nicht mehr im Lotto gewinnen wird. Vor allem, wenn man keinen Schein ausfüllt.
Dass käufliche Liebe keine Liebe ist. Nur Sex. Aber dazu muss man den Schein ausfüllen.
Dass ein Sonnenaufgang aber auch schön ist.
Dass man vergessen hat, worum es in dem Buch ging, das man letzte Woche gelesen hat.
Dass man sich seinen Freiraum schaffen muss, um atmen zu können.
Dass man manchmal nein sagen muss, um ja sagen zu können.
Dass man sich noch immer Gedanken über die Welt und das Leben macht.
Dass der Tod nicht bestechlich ist.
Dass ein regelmäßiger Stuhlgang die Basis allen irdischen Glücks ist.
Dass man Freunde hat. Viele. Gute. Und dass man gern einen Abend mit ihnen verbringen will.
Heute.
Abonnieren
Posts (Atom)